
Entspannung. Ruhe. Work-Life-Balance. Viel diskutierte Schlagwörter in Co-Working-Spaces überall nordöstlich des Berliner Flat-White-Breitengrads in Kreuzberg bis Prenzlauer Berg. Meditationsapps sind hoch im Kurs. Die Suche nach dem richtigen Ausgleich für Geist und Körper schwirrt durch alle Start-ups. Was sicher in keinem Tai-Chi-Lehrbuch vorkommt: Fan des 1.FC Kaiserslautern zu sein.
Dabei hatte sich der der Betzenberg nach der Rückkehr in die zweite Bundesliga vor eineinhalb Jahren eigentlich als Ort der Freude und des begeisternden Anfeuerns einer entgegen aller Erwartungen konkurrenzfähigen Aufsteigermannschaft gezeigt. Auch die laufende Saison startete gut, nach neun Spielen grüßten die Roten Teufel von Platz drei. Seitdem geht es bergab. Sinnbildlich für die aktuelle Verfassung der Lautrer ist eine Szene aus dem Spiel gegen den FC St. Pauli: FCK-Spieler Marlon Ritter dreht einen Freistoß an den Innenpfosten, der Ball springt in den Fünfmeterraum. Im anschließenden Getümmel fliegt der erste Nachschuss an die Latte und der zweite – wie sollte es anders sein – wird auf der Linie geklärt. Der dritte Versuch geht dann schließlich über den Kasten von Pauli-Keeper Vasilj. So geht es derzeit fast allen im Verein: Sie versuchen viel, aber nichts will so wirklich funktionieren.
Der Trainereffekt ist schon wieder verpufft
Die Bilanz der Pfälzer seit eben diesem neunten Spieltag ist schlichtweg grauenhaft. Klar, im DFB-Pokal konnten sie die nächste Runde erreichen, am nächsten Mittwoch wartet im Viertelfinale die Hertha. Aber: In der Liga holte die Mannschaft seit Anfang Oktober nur einen einzigen Punkt. Was sportliche Talfahrten angeht, ist die der Lautrer schon fast lehrbuchartig. Nach fünf sieglosen Partien in Serie musste der Aufstiegstrainer Dirk Schuster seinen Hut nehmen. Sportchef Thomas Hengen ging der tiefe Fall zu schnell, ein neuer Impuls sollte her. Diskutiert wurden Namen wie Michael Wimmer, ehemaliger Stuttgarter Nachwuchs- und Interimstrainer, aktuell bei der Austria Wien, oder auch FCK-Legenden wie Mirosklav Klose und Bruno Labbadia. Einziges Problem: Keiner der Wunschkandidaten machte sich auf den Weg in die Pfalz. Stattdessen wurde der Trainerstuhl mit Dimitrios Grammozis besetzt, vermutlich eher eine B- oder C‑Lösung Hengens.
Der Trainerwechsel brachte aber nicht den erhofften Aufschwung. Zwar war das erste Spiel des neuen Cheftrainers das siegreiche DFB-Pokal-Achtelfinale gegen Düsseldorf. Das Weiterkommen im Pokal war jedoch gleichzeitig der einzige Erfolg, den die Pfälzer unter Grammozis feiern konnten. Alle drei folgenden Ligapartien gingen verloren. Dabei geben nicht nur die Niederlagen an sich Grund zur Sorge. Die Art, wie der FCK vor allem defensiv auftrat, ist besorgniserregend. Ein ums andere Mal ließ sich die Abwehr düpieren. Ohne Keeper Krahl hätte es in den vergangenen Spielen wohl einige Gegentore mehr gehagelt. Der Trainer ist zwar erst seit vier Pflichtspielen im Amt, ein richtiges Urteil ist fast nicht möglich. Sicher ist aber: Die so dringend benötigte Soforthilfe war er nicht.
Thomas Hengen hatte nach Grammozis‘ Anstellung im SWR als wichtigsten Punkt gefordert: „Wir müssen den Laden zubekommen.“ Daran ist Grammozis bisher klar gescheitert, in jedem der drei Ligaspiele unter seiner Leitung kassierten die Pfälzer zwei Tore. Und auch nachdem er in der Winterpause Zeit hatte, ausgiebig mit der Mannschaft zu arbeiten, präsentierte diese sich gegen ein zugegebenermaßen starkes St. Pauli mit defensiven Mangelerscheinungen. Der Trainereffekt, so es ihn denn gab, ist im Prinzip sofort verpufft, weder die Ergebnisse noch die Spielanlage sehen vielversprechender aus als unter Schuster. Inzwischen, nicht einmal zwei Monate nach seiner Anstellung, gibt es schon die ersten Gerüchte um einen Rauswurf von Grammozis.
Gerüchte, Lügen, Rufmord?
Am Wochenende wurde von einigen Seiten Wissen über die Entlassung von Grammozis bekundet. Das lieferte unter der Woche logischerweise einiges an Gesprächsstoff. Zuerst wurde von Vereinsseite jegliches Interesse an einer Demontage des Trainers dementiert. Auf der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Schalke am Freitagabend sprach Grammozis noch selbst über das Gerede zu seiner Entlassung: „Lügen zu verbreiten, das ist Rufmord, das kann ich mir nicht gefallen lassen.“ Auch denke er über die Einleitung juristischer Schritte nach.
Die Gerüchte kamen aber nicht von ungefähr. Dass Geschäftsführer Hengen lieber früher als später reagiert, wenn es um die Zukunft eines FCK-Trainers geht, ist hinlänglich bekannt, spätestens, seit er Marco Antwerpen nach dem letzten Spieltag der Saison 2021/22 feuerte. Damals rutschten die Lautrer noch ganz zum Schluss vom zweiten auf den dritten Platz der 3. Liga und mussten damit in die Relegation. Dafür fand er den goldrichtigen Kandidaten in Dirk Schuster. Der machte die Mannschaft von heute auf morgen bereit für die allesentscheidenden Partien gegen Dynamo Dresden. Dieses Mal scheint Thomas Hengen mit Dimitrios Grammozis kein so glückliches Händchen gehabt zu haben.
Abschied eines Publikumslieblings
Als wären die sportlichen Probleme noch nicht genug, brachte der Januar noch eine weitere Hiobsbotschaft für alle Lautern-Fans: Publikumsliebling, Aufstiegsheld und Träger eines Lautre-Tattoos, Terrence Boyd, wechselte zum Erzrivalen Waldhof Mannheim. Gerade er, der in seinen zwei Jahren im Verein das Gesicht dieser Mannschaft wurde, verrät den FCK. So zumindest die Reaktion vieler Anhänger, die den Buwen aus Baden eher in Feindschaft verbunden sind. Die Begründung für seinen Wechsel, die der Stürmer auf Social Media teilte: Er wolle seine Kinder nicht aus ihrem Umfeld herausreißen. Leider war Mannheim der einzige Verein in der Umgebung, der sportlich infrage kam.
Bei allem hin und her ist aber eins sicher: Boyds Transfer hat auf keinen Fall Ruhe in einen ohnehin strauchelnden Verein gebracht. Dabei bräuchten die Roten Teufel gerade das, um Grammozis dabei zu unterstützen, die sportliche Situation zu verbessern. Schafft er es nicht, droht dem FCK ein nächster finanzieller Super-GAU: Schon nach dem letzten Abstieg aus der zweiten Liga plagte die Pfälzer eine chronisch klamme Kasse. Mehrmals wurde die Drittligalizenz nur unter Auflagen erreicht. Erst durch die Rückkehr in die zweite Liga wurden diese Probleme endgültig überwunden. Der Klassenerhalt ist also überlebenswichtig für den Verein. Ein dafür wegweisendes Spiel steht am Freitagabend an: Zwei Problemkinder der zweiten Liga treffen aufeinander, Schalke 04 kommt ins Fritz-Walter-Stadion. Sollte der FCK nicht gewinnen, läuft die Mannschaft von Grammozis Gefahr, vollends in die Gruppe der Abstiegskandidaten zu rutschen. Aktuell hat Lautern nur einen Zähler Vorsprung auf Platz 17. Die FCK-Spieler sollten gegen Schalke also besser keine drei hundertprozentige Chancen nacheinander versemmeln. Dimitrios Grammozis wird sonst vermutlich eher früher als später den Platz auf der Trainerbank räumen müssen. Und in ein Tai-Chi-Lehrbuch kommt man mit zwei Trainerentlassungen in einer Saison auch nicht.
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